Im heute journal des ZDF vom 30.07.2020 gab es einen Beitrag von Bernd Mosebach mit dem Titel Ausbildung in der Coronakrise. Im Kern ging es um die jährlich wiederkehrende Herausforderung, Ausbildungsinteressierte mit Ausbildungsunternehmen zusammenzubringen, damit mehr Ausbildungsverhältnisse entstehen können. Es ist unbestritten, dass Ausbildungsverträge aus einer Reihe von Gründen nicht zustande kommen. Einer der Wichtigsten ist jedoch das Marktversagen: Es besteht ein Informationsgefälle zwischen beiden Gruppen, und darum können sich junge Leute und Unternehmensvertreter systematisch nicht finden. Es fehlt ein geeigneter Kommunikationskanal. Darum können sie sich auch nicht wechselseitig informieren und ihr Verhalten nicht aufeinander abstimmen. Schließlich können sie keinen Ausbildungsvertrag vorbereiten und abschließen.
Von den Industrie- und Handelskammern wird die Ausbildungslücke jedes Jahr dramatisch dargestellt. In jedem Jahr ergreifen sie dann die immer selben und offensichtlich tradierten Maßnahmen, um die Auswirkungen des Problems zu lindern. Sie verteilen „flotte Plakate“ (heute journal), lassen bunte Broschüren drucken, organisieren Lehrstellenbörsen, und die Berater der Kammern versuchen junge Leute mit Unternehmen zusammenzubringen. „Rufen Sie da mal an, junger Mann.“
Betriebsleiter Carsten Malschofsky von Schoeller Allibert spricht in die Kamera: „Den Fachkräftemangel können wir … nur aus eigener Kraft bewältigen.“ Nach meinem Verständnis will er damit sagen, dass die Maßnahmen der Kammern nicht wirksam genug sind. In der Tat: Die allermeisten Lehrkräfte sowie die Kammermitarbeitenden, die die Schülerschaft „beraten“, waren nie in einem Unternehmen tätig. Die haben einen anderen, wichtigen Berufsweg eingeschlagen. Dann können wir natürlich auch nicht erwarten, dass sie im 21. Jahrhundert allein mit flotten Plakaten und Beratung bzw. den begrenzten Möglichkeiten der Berufsorientierung in den Schulen die Ausbildungslücke schließen!
Trotzdem berichten die Kammern dann später wieder und klären die Öffentlichkeit über die enormen Erfolge ihrer Initiativen auf. Tenor: Wenn wir nicht aktiv geworden wären, dann wäre jetzt alles noch viel schlimmer und der Fachkräftemangel hätte sich längst zur größten Wachstumsbremse im Lande entwickelt. Gut, dass es uns gibt! Und im Subtext: Möge niemand auf die Idee kommen, daran jemals etwas zu ändern! Die Berichte, Pressemitteilungen und Reden der Kammern zu diesem Thema lesen sich immer gleich, offensichtlich werden oft nur ein paar Begriffe und Zahlen angepasst. Es bleibt überdies unklar, welche der erfreulichen Nachrichten tatsächlich auf das Wirken der Kammern zurückzuführen sind, denn schließlich sind auch die Unternehmen, die jungen Leute, die Eltern, die Schulen und die Arbeitsagenturen nicht untätig.
Institutionenökonomisch gesprochen mühen sich die Beteiligten damit ab, Informationsasymmetrien zu beseitigen, um das Marktversagen zu lindern, das ihre Möglichkeiten massiv beschränkt. Warum bieten wir ihnen nicht eine moderne IT-Lösung?
„… (A)uch in diesem Jahr werden wieder tausende Ausbildungsplätze im Land unbesetzt bleiben“, sagt der Sprecher im Beitrag des heute journals, der aus Schwerin berichtet. So ist es aber nicht nur dort, sondern im ganzen Bundesgebiet. In bundesweit 80 IHKs wird ein enormer Aufwand getrieben, um die Ausbildungslücke zu schließen. Alles das wird mit den Pflichtbeiträgen der Pflichtmitglieder finanziert. Dabei ist der Erfolg nur mäßig. Warum wird das immer wieder und seit Jahren schon so gemacht, wenn es doch nicht die notwendige Wirkung zeigt? Sicher, die Ausbildungslücke wäre dann noch größer. Aber wer hat das größte Interesse, sich mit diesem schwachen Argument zufrieden zu geben?
Haben die Industrie- und Handelskammern neue und bessere Ideen, um das skizzierte Informationsproblem zu reduzieren? Falls ja, warum können wir die nicht erkennen? Freuen sie sich darauf, neue Bearbeitungsverfahren im Interesse der Wirtschaft für mehr Ausbildung zu erproben? Sind sie Schmelztiegel der Innovation und Risikofreude zum Ausbildungsthema? Haben sie die Möglichkeiten der Digitalisierung ernsthaft geprüft und zur Überwindung des Marktversagens effektiv genutzt? Oder bringen sie keine Ideen ein und klammern sie sich an das Bestehende, weil es für sie einfacher und angenehmer ist?
Die Industrie- und Handelskammern könnten mit für sie neuen, digitalen Methoden viel effektiver gegen die Ausbildungslücke kämpfen, unterlassen das aber wohl aus eigennützigen Erwägungen. Sie klammern sich zwar an das Ausbildungsthema, aber ignorieren dabei, dass sie die verfügbaren Mittel viel wirksamer im Interesse der Wirtschaft und zur Linderung des Problems einsetzen könnten. Wenn sie aber keine neuen Wege diskutieren und erproben, und sich hierzu nicht beraten lassen, dann tun sie das letztlich auf Kosten der Wirtschaft. Ist das Problem etwa doch nicht so groß, wie es dargestellt wird? Was würde die Kammern dazu veranlassen, ihren Methodenkasten grundlegend zu erneuern? Der Marktmechanismus! Nur leider stehen die Industrie- und Handelskammern mit niemanden im Wettbewerb. Zugleich sind sie gesetzlich geschützt. Also bleibt nur: die Wirtschaft selbst! Vielleicht könnte sie die Kammern langfristig zu einer anderen Gangart veranlassen. Sicher ist das nicht, denn auch der Einfluss der Wirtschaft auf ihre eigenen Interessenvertreter ist faktisch begrenzt.
Würde man nur einen Bruchteil der den Kammern für das Thema Ausbildung zur Verfügung stehenden Mittel in den Betrieb einer Matching-App investieren, mit der Schüler und Unternehmensvertreter sich zum Thema Ausbildung ganzjährig finden könnten, würden alle profitieren. Nur nicht die Kammern.
Die „Berater“ der Kammern können gar nicht zu jedem der vielen und sich kontinuierlich entwickelnden Berufe sprechen. Aber die Mitarbeitenden in den Unternehmen können das. Sie verfügen über die Informationen, die Schülerinnen und Schüler interessieren. Die Unternehmen können ihnen gründliche Eindrücke zu den Ausbildungsverläufen in ihren Betrieben geben und die meisten Fragen dazu so treffend beantworten, wie niemand sonst.
Wir brauchen also ein System, das Auszubildende, Ausbilder oder andere Vertreter der Unternehmen mit den Schülerinnen und Schülern direkt in Kontakt bringt. – Nicht nur bei einem Schulbesuch, sondern immer, wenn die Beteiligten Akteure das wollen und es Informationsbedarf zu einem Ausbildungsberuf auf Seiten der Schülerinnen und Schüler oder Angebote seitens der Unternehmen gibt. Ausbildungsbörsen sind gut, aber ein möglichst friktionsloser, ganzjährig aktiver und offener Ausbildungsmarkt ist besser! Auch der Sprecher im Beitrag des heute journals stellt fest: „Es kommt auf das direkte Gespräch an, damit Interessierte den Beruf verstehen können.“ Worauf warten wir bitte? Das ist doch niedrigschwellig möglich!
Die Anzahl der beteiligten Akteure ist zu groß, und deren Interessen sind zu unterschiedlich, als dass die IHKs das zentral koordinieren könnten. Aber mit einer Smartphone-App könnte ein Matching jederzeit mühelos hergestellt werden.
Um einen Beitrag zum IT-unterstützten „Matching“ über Detailinteressen zur Ausbildung, zu Berufen und Betrieben zwischen beiden Gruppen in den Regionen zu leisten, oder um die Diskussion zumindest anzustoßen, haben wir den Kammern eine moderne Lösung per Smartphone-App vorgeschlagen. Der DIHK in Berlin und die Industrie- und Handelskammern haben darauf nicht einmal reagiert! Dann haben wir unseren Vorschlag in diesem Video zusammengefasst (im Oktober 2018):
Ein neues IT-System auf der Höhe der Zeit wäre vermutlich so erfolgreich in der Auflösung des Informationsproblems zwischen der Schülerschaft und den Unternehmensvertretern/innen, dass die klassischen Maßnahmen der IHKs schrittweise zurückgenommen werden könnten. Zum großen Nachteil der jungen Menschen und der Wirtschaft will man das wohl vermeiden.
Diese Überlegungen stehen auch der heute journal Redaktion zur Verfügung.