Wie kann unser Unternehmen erfolgreich sein? Worum geht es bei unserem Geschäft im Kern? Wie schaffen wir Werte und wie arbeitet unsere Ertragsmechanik morgen und in fünf Jahren? Antworten zu diesen Fragen berühren die Kernaufgaben des Strategischen Managements und natürlich sind solche Überlegungen über den gesamten Lebenszyklus eines Unternehmens hinweg relevant.
Wenn etwa ein Buchverlag Teile seines Portfolios umstellen will von Papierbüchern auf digitale Bücher, wird das womöglich finanzielle Ressourcen in signifikantem Ausmaß binden, weil dies ein anders qualifiziertes Personal, andere Partner und andere Technologien erfordert. Es werden also Pfadabhängigkeiten erzeugt und damit wirken Effekte langfristig. Das ist also eine strategische Entscheidung, und sie basiert zwangsläufig auf Annahmen. Es muss ja zunächst unbeantwortet bleiben, wie viele der potenziellen Kunden die Werke wohl lieber als E-Book lesen möchten, anstatt das Papierbuch zu kaufen, und welche Zahlungsbereitschaft sie wohl haben werden. Wenn wir solche Überlegungen anstellen beziehen wir uns natürlich nur zum Teil auf die gegenwärtige, sondern mehr auf die zukünftige Welt. Der zukünftige Zustand der Welt weicht in jedem Fall von ihrem gegenwärtigen Zustand ab. Die Frage ist nur, inwiefern und was davon für unser Unternehmen relevant ist.
Was können wir wissen und wie überbrücken wir Nicht-Wissen?
Der erste Teil der Frage ist eine der großen Fragen der Philosophie. Die ist etwas abgeschwächt auch für Führungskräfte und Unternehmer höchst relevant. Im Vorhinein kann niemand wirklich wissen, was unternehmerisch funktionieren wird. Falls Sie daran zweifeln: Ist nicht das unternehmerische Risiko eines der Bestimmungsmerkmale für Unternehmertum? Risiko bedeutet doch, dass jemand die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses nicht kennt. Oft sind die Entwicklungen relevanter Umstände sogar gänzlich ungewiss. Wenn Sie also die Eintrittswahrscheinlichkeit aller relevanten Ereignisse kennen und auch sonst „alles wissen“, dann können Sie eigentlich Ihren Hut nehmen, denn als Führungskraft oder Unternehmer werden sie jetzt nicht mehr gebraucht. Wo kein Informationsdefizit besteht, gibt es auch kein Risiko, keinen Entscheidungsbedarf, keine Verantwortung, kein Gehalt und keinen Profit. Sind sie jetzt zu beneiden? Falls ja, genießen sie ihre freie Zeit.
Damit ist es aber nicht genug, denn dem unternehmerischen Erfolg muss nicht zwingend eine bewusst entworfene Strategie zugrunde liegen. Jetzt bin ich schon fast dabei weite Teile der Schule des Strategischen Managements für obsolet zu erklären. Da ist Vorsicht geboten, aber ich verweise trotzdem auf sehr erfolgreiche Unternehmen, deren Handelnden gar keine dezidierte und ausgefeilte Strategie zugrunde liegt. Oder glauben Sie, dass jedes Unternehmen der Erde über eine Strategie verfügt, die Ergebnis gründlichen Nachdenkens ist? Ich hege da gewisse Zweifel. Wenn man die dort verantwortlichen Leute dann fragt: Warum macht ihr das alles so in eurem Unternehmen? Wie seid ihr darauf gekommen? Dann zeigen die sich oft geradezu verwundert und finden eigentlich alles ganz logisch und selbstverständlich. In der Literatur wird dann gern von emergenten Strategien gesprochen. Die ergeben sich eben aus der gelebten unternehmerischen Praxis, ganz natürlich und fast wie nebenbei.
Emergente Strategien sind also nicht automatisch unvernünftig. Sie sind zwar nicht Ergebnis eines vernünftigen Gesamtentwurfs, aber sie können doch zum Erfolg führen. Manchmal sind den handelnden Personen ihre Strategien auch gar nicht bewusst.
Können wir die Dinge also einfach laufen lassen, weil es ja doch irgendwie weitergehen wird?
Laissez fair beim Strategischen Management kann funktionieren, wird aber natürlich aus unternehmerischer Sicht umso gefährlicher, je wertvoller die Ressourcen oder je größer die Budgets sind, die eingebracht werden. Da wird etwas einem Zweck gewidmet, und wenn das einmal geschehen ist, entstehen schnell Pfadabhängigkeiten. Dann können wir tatsächlich von strategischer Relevanz der Verwendung reden. Sollen die gewidmeten Mittel oder Ressourcen ihrem Zweck wieder entzogen werden, so wird das mit einem Werteverlust verbunden sein, manchmal mit dem Totalverlust. Das ist die Gefahr einer Korrektur aus unternehmerischer Sicht und die zu erwartende Entwertung markiert die Grenze der Anpassungsfähigkeit.
Lassen Sie uns also lieber gründlich nachdenken.
Führungskräfte und Unternehmer haben aber den Auftrag die Entwertung der Ressourcen zu verhindern, sie also keinen zu großen Risiken auszusetzen. Wer sich mit strategischen Überlegungen beschäftigt investiert in die Voraussetzungen für Gewinnmöglichkeiten, aber darum zugleich in einen Mechanismus zur Vermeidung der Entwertung. Aber so weit sie es auch treiben mit dem Rationalen und Vernünftigen, es wird ex ante immer einigermaßen unklar bleiben, wie wirksam der gefundene Mechanismus ex post sein wird. Schließlich haben wir es immer mit Verhaltensunsicherheit und Umweltunsicherheit zu tun. Tja, wir streben zwar nach Sicherheit aber dabei stoßen wir regelmäßig an die Grenzen unserer Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und -verarbeitung. Nun denken Sie an Big Data und KI? Beides kann helfen, aber nur, solange es die anderen nicht einsetzen. In jedem Fall ist Zweifel nützlich. In diesem Sinne:
Wie plausibel ist es, dass sich die Zukunft unseres Unternehmens unter den bekannten und angenommenen Bedingungen weitgehend so darstellen wird, wie es unsere Gesamtargumentation vorschreibt, nach der wir gerade vorgehen?
Das macht es zur Pflicht, die Bedingungen des Wirtschaftens permanent zu beobachten und die Annahmen immer wieder zu überprüfen. Die sind ja getroffen worden, um Unwissenheit zu überbrücken. Stimmen unsere Annahmen also noch? Wie agieren Wettbewerber, deren Wirken ja ebenfalls den Erfolg unseres Handelns beeinflusst? Wie entwickeln sich andere Faktoren, auf die wir wenig oder vielleicht überhaupt keinen Einfluss haben; die von uns also gar nicht gemanagt werden können, wie etwa die Präferenzen der Konsumenten, oder die Konsum- oder Investitionsneigung? Welchen Einfluss haben vielleicht bevorstehende Wahlen, die Armutsmigration, das Corona Virus, der Status der natürlichen Umwelt oder der Ölpreis? Veränderte Umstände können übersehen werden, sie können auch vorhersehbar sein, oder uns völlig überraschen.
Die Unternehmensführung baut also Brücken zwischen dem, was sie nicht weiß, und dem, was sie mit den verfügbaren Mitteln vermag. Ob der Komplexität der Verhältnisse wird erfolgreich sein, wer Mut, Erfahrung und Intuition zu diesen Mitteln zählen darf.