Plötzlich war sie da, die Corona-Pandemie, und sie hat unser Leben zunächst ganz schön auf den Kopf gestellt. Mit neuen Auflagen und Regeln musste die Gesellschaft ihren Umgang mit der neuen Situation ja erst finden. Und das hat bei vielen – privat wie beruflich – zu massiven Einschränkungen und Unsicherheiten geführt. Geschäfte wurden geschlossen und die Produktion in Unternehmen wurde heruntergefahren. Deutlich mehr Mitarbeitende als vor der Corona-Krise sollten nun von zu Hause aus arbeiten. Das Coronavirus zwingt uns also zu räumlicher Trennung. Aber wie wirkt sich das auf moderne Unternehmen aus, die auf Teamarbeit angewiesen sind? Funktionieren Team- und Führungsarbeit jetzt anders, wenn wir das auf Aufgaben beziehen, die bislang räumlich in Unternehmensgebäuden stattfanden?
Christoph Niehus: Ich freue mich sehr, heute mit Ines Herdmann von Kristronics über Remote Work zu sprechen. Und natürlich sprechen wir remote. Hallo Ines!
Ines Herdmann: Das machen wir, Christoph. Hallo! Vielen Dank für die Idee und die Einladung, mit dir über das Thema zu sprechen.
Christoph Niehus: Ines, du bist bei Kristronics Bereichsleiterin für Personal und Unternehmenskommunikation. Du gehörst auch dem Präventionsteam Corona in eurem Unternehmen an, das eingerichtet worden ist, als das Virus ja fast wie ein Komet in die Wirtschaft einschlug. Wie hat sich das bei euch im Unternehmen ausgewirkt? Und wie habt ihr reagiert, als die räumliche Trennung in der Corona-Krise plötzlich für alle erforderlich wurde?
Ines Herdmann: Vielleicht vorab … Kristronics ist Entwicklungs- und Produktionsunternehmen, wir fertigen zum Beispiel für Kunden aus Medizintechnik, Automobilindustrie, E-Mobility, elektronische und mechatronische Systeme und Baugruppen. Und wir haben zu Beginn der Corona-Krise mit kleinen Maßnahmen begonnen, also Aushänge mit Hygieneregeln vorbereitet, auf Abstandsregeln hingewiesen, zum Beispiel in Meetings, aber auch in den Pausenräumen und an den Raucherplätzen im Außenbereich. Aber so wie viele andere ähnlich aufgestellte Unternehmen wollten wir natürlich auch da, wo es sich realisieren lässt, die Mitarbeiter zum Schutz vor Ansteckung schnellstmöglich von zu Hause aus arbeiten lassen.
Christoph Niehus: Ja, das ist verständlich. Aber mit der Produktion geht das nicht so einfach, oder?
Ines Herdmann: Das ist richtig. Beim Produktionsbereich lässt sich das so nicht umsetzen. Die Beschäftigten dort sind in den Werkshallen vor Ort zugange, bestücken, testen an den Fertigungslinien die Leiterplatten. Hier wird auf Sicherheitsabstand geachtet. Es gibt Desinfektionsmittel, und wir haben über unsere Konzernmutter – die Marquardt Gruppe in Rietheim – Mund-Nasen-Masken erhalten, und die werden seit Anfang April an alle Beschäftigten verteilt. In der Entwicklung sieht es da etwas anders aus. Ein Teil der Entwickler hat schon vor der Corona-Pandemie die Möglichkeit gehabt von zu Hause aus zu arbeiten, was allerdings nur vereinzelt genutzt wurde. Und in der Verwaltung, zum Beispiel im Einkauf, Finanzen, Controlling – auch in meinem Bereich – haben wir, dort, wo es möglich und sinnvoll ist, die Beschäftigten mit Laptops ausgestattet. Und dann haben wir festgestellt, was es heißt, wenn sich innerhalb weniger Tage ganze Teams einschließlich Teamleitung über unterschiedliche Formate abstimmen müssen.
Christoph Niehus: Das finde ich sehr interessant. Wie seid ihr das angegangen?
Wir haben viel probiert, geschaut, welche Tools geeignet sind, wo wir Prozesse im Remote Modus nochmal anfassen und anders gestalten müssen.
Ines Herdmann: Wir haben gerade in der Anfangszeit der vergangenen acht Wochen täglich neue Erfahrungen gemacht. Wir haben viel probiert, geschaut, welche Tools geeignet sind, wo wir Prozesse im Remote Modus nochmal anfassen und anders gestalten müssen. Und über die good practices haben wir uns dann im Führungskreis ausgetauscht. Wie das hier so für seinen Bereich mit dem Homeoffice gehandhabt wird und wie wir den Überblick behalten. Persönlich fand ich es vor allem anderen wichtig, und diese Erfahrung teile ich mit allen Führungskräften bei uns, dass das Mind Set bei allen klar ist, dass mit den Einschränkungen aus den Entscheidungen zur Eindämmung dieses Virus die individuellen Bedürfnisse bei den Beschäftigten in den Vordergrund gerückt sind, dass es dafür zunächst einmal Verständnis aufzubringen gilt und im Einzelfall gemeinsam Lösungen erarbeitet werden müssen, zum Beispiel im Krankheitsfall oder bei der Kinderbetreuung. Denn im Grunde hat jeder mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen. Und klar gibt es Kollegen, denen die schwierige Situation deutlich mehr zugesetzt hat als anderen, oder die mit den technischen Problemen in den ersten Tagen im Homeoffice schneller überfordert waren. Hier hat es uns vielfach geholfen, in Einzelgesprächen, zum Beispiel wenn Arbeitspakete oder Fristen abzustimmen waren, immer auch nachzufragen, wie es dem Mitarbeiter gerade persönlich geht, ihm zuzuhören, wissen zu lassen, dass er oder sie nicht alleine ist, und einfach nachzuhaken, ob es etwas gibt, womit ich als Führungskraft bzw. wir als Team unterstützen können.
Christoph Niehus: Die Führungskräfte bei Kristronics sind also nochmals anders gefragt und gefordert als bisher. Was fordert euch jetzt besonders stark? Und was fällt euch jetzt im Rückblick besonders auf?
Ines Herdmann: Es gibt viele Führungskräfte bei uns, die sich durch die aktuelle Situation als Führende bei den Mitarbeitern stärker gefordert sehen, weil die Mitarbeiter in der Krise nach Sicherheit suchen. Also sie fragen danach, wie es jetzt weiter geht. Sie fordern aber auch mehr Sensibilität und Verständnis für sich ein. Wir können nicht alle Sorgen aus der Welt schaffen, aber wir hören sie uns an, und wir versuchen, Antworten auf Fragen zu geben, auch wenn Sie sich in dieser schwierigen Zeit mit hundertprozentiger Treffsicherheit nicht beantworten lassen. Aber wir haben von Beginn an offen ausgesprochen vor welchen Herausforderungen auch das Unternehmen steht. Und die Informationen teilen wir inzwischen über monatliche Mitarbeiter-Reports, entweder direkt durch die Geschäftsleitung, über Aushänge, aber auch durch die Vorgesetzten in ihren Team-Meetings. Vielleicht noch eine Herausforderung, vor der nicht alle, aber doch einige Führungskräfte standen. Dies war die Auslastungssituation in Teams mit Mitarbeitern, die zwar den Großteil ihrer Aufgaben am Laptop von zu Hause aus bearbeiten können, die aber auch unter normalen Umständen mehrfach am Tag im Produktionsbereich sind, um sich dort abzustimmen. Aber abgesehen von solchen Schnittstellenproblemen war von Beginn an jede Führungskraft gefordert, die Arbeitsaufträge so zu schnüren und zu verteilen, dass sie von den Mitarbeitern zu Hause unter Einhaltung der Fristen vernünftig bearbeitet werden können. Damit das alles reibungslos funktioniert haben die Teamleiter – die meisten gleich in den frühen Morgenstunden – kurze Abstimmungs-Meetings durchgeführt. Es gibt aber auch Status-Meetings zwischendurch. Ja, und die werden dann über verschiedene Besprechungsformate ausgerichtet.
Christoph Niehus: Mit welchen Besprechungsformaten oder Tools arbeitet ihr?
Welches Tool bei uns verwendet wird, hängt unter anderem davon ab, ob es ein internes Meeting bei Kristronics ist, oder mit einem der Standorte von Marquardt, oder ein Kundentermin.
Ines Herdmann: Es ist inzwischen so, dass wir verschiedene Tools im Einsatz haben. Das liegt unter anderem daran, dass wir je nach Abteilungen unterschiedlich eng mit Mitarbeitern unserer Konzernmutter zusammenarbeiten. Marquardt hat übrigens rund 11.000 Mitarbeiter weltweit, und dort werden wiederum andere, eigene Besprechungsformate genutzt. Welches Tool bei uns verwendet wird, hängt unter anderem davon ab, ob es ein internes Meeting bei Kristronics ist, oder mit einem der Standorte von Marquardt, oder ein Kundentermin. Und neben GoToMeeting nutzen wir Skype for Business, auch Slack wird als Tool in bestimmten Abteilungen genutzt, und über Jira werden Aufgaben und Planungen vorgenommen, wo sich natürlich auch jederzeit der Status von Projekten abrufen lässt.
Christoph Niehus: Ein wesentlicher Punkt scheint mir auch die Kultur der Unternehmung zu sein. Vertrauen ist ja essenziell, wenn der fachliche Input eines Mitarbeiters wichtig ist und das Unternehmen auch viele wertvolle Informationen offenlegen muss, damit Zusammenarbeit überhaupt gut funktionieren kann. Wächst Vertrauen nicht viel einfacher in Präsenz? Was bedeutet das jetzt für die Führung bei euch?
Aktive Kommunikation schafft Vertrauen. Ob in Präsenz oder remote.
Ines Herdmann: Ich denke, dass in dieser Situation, in der auch schnell reagiert werden musste, das Vertrauen von Führungskraft in Mitarbeiter und umgekehrt essenziell ist, und dass sich darin auch die Qualität der jeweiligen Beziehung widerspiegelt. Vertrauen schafft Gegenvertrauen und wir vertrauen bei Kristronics darauf, dass jeder seinen Einsatz für das Team bringt, so wie bisher, nur zu einem Teil von zu Hause aus. Und dafür braucht es Leitlinien und klare Regeln zum Ablauf, zu Erreichbarkeit und Fristen, in denen Arbeiten zu erledigen sind, und darüber hinaus, Du hast es gerade angesprochen, pflegen wir eine offene Kommunikation. Und wir informieren übrigens heute mehr als früher regelmäßig über die Monats-Reports die Belegschaft. Für mich hängt Vertrauen von der Einstellung und der Umsetzung durch die Führungskraft ab, von dem initiativ auf Mitarbeiter zugehen, das Gespräch mit ihnen suchen, auch selbst Ansprechbarkeit signalisieren. Aktive Kommunikation schafft Vertrauen. Ob in Präsenz oder remote. Nehmen wir die Personalabteilung als Beispiel. Auf uns kam mir der Corona-Pandemie ein deutlicher Mehraufwand zu, bei dem es erforderlich war, dass wir uns wirklich sehr häufig abstimmen mussten. Und ich bin positiv überrascht darüber, wie nahezu reibungslos wir an mitunter sehr herausfordernden, für uns auch neuen Themen mit dem gewünschten Erfolg gearbeitet haben. Und wir beginnen bis heute jeden Morgen, bevor wir mit dem Tagesgeschäft starten, mit einem zehn-Minuten-Call, bei dem jeder sagt, was ihn gerade beschäftigt, woran er an dem Tag arbeiten wird, und was fertigzustellen ist. Und dann geht’s los.
Christoph Niehus: Hat remote work für Kristronics vielleicht auch Vorteile gegenüber der Arbeit in Präsenz?
Ines Herdmann: Immer in Abhängigkeit davon, wo und in welcher Funktion und Abteilungen remote gearbeitet werden kann, und wo es wirklich sinnvoll ist, hat es sicherlich Vorteile. Ich habe die Erfahrung gemacht, remote weniger abgelenkt zu sein, und das macht sich in der Produktivität deutlich bemerkbar, wenn ich nicht unterbrochen werde. Darüber hinaus ist die Zeit, die ich sonst im Auto auf dem Weg ins Büro war, zu Hause schon reine Arbeitszeit. Was mir andererseits sehr fehlt, sind die Kollegen, und dass sich-mal-schnell-im-Büro-austauschen können. Außerdem habe ich festgestellt, dass es mir zu Hause noch schwerer fällt, abends den Laptop zur Seite zu legen und ich mehr und auch länger arbeite als im Büro.
Christoph Niehus: Kannst du dir vorstellen, dass es irgendwann aus der Sicht des Managements keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Arbeitsformen mehr gibt? Und wie würdet ihr dann die Arbeit organisieren wollen? In Präsenz oder aus der Ferne?
Es braucht Leitlinien, die zum Beispiel Beantwortungsspannen von Anrufen, Mailverkehr und so weiter regeln.
Ines Herdmann: Wovon ich überzeugt bin, ist, dass die aktuelle Situation und alle Erfahrungen, die wir jetzt sammeln, sich auf die zukünftige Arbeitswelt auswirken wird. Und ich finde den Gedanken ganz reizvoll, die Chance jetzt zu nutzen und neue Perspektiven mit zu entwickeln. Weil sich jetzt die Gelegenheit bietet, Dinge auszuprobieren und zu resümieren und darüber die Zusammenarbeit zwischen remote und located Teams weiter zu verbessern. Mehr oder weniger sind wir alle im Moment in so einer Art Findungsphase, durch die wir alle durch müssen, und in der wir Anforderungen auch immer wieder neu abstecken können. In jedem Fall, glaube ich, werden dabei die Kommunikation und Transparenz, so wie ich das auch schon mehrfach angesprochen habe, einen hohen Stellenwert haben, weil in dem Zusammenhang Erwartungen einfach klar definiert werden müssen. Es braucht Leitlinien, die zum Beispiel Beantwortungsspannen von Anrufen, Mailverkehr und so weiter regeln. Es muss klar sein über welche Formate kommuniziert werden soll und in welchen Zeiträumen und vor allem auch, wie die Ziele „getrackt“ werden sollen.
Christoph Niehus: Unser Wirtschaftsminister Heil will ja bis zum Herbst ein Gesetz vorlegen, das ein Recht auf Heimarbeit vorsieht. Er meint, jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll auch im Homeoffice arbeiten können. Er sieht auch, was du eben beschrieben hast, dass nämlich die Gefahr besteht, zu Hause mehr zu arbeiten als im Unternehmen. Mir ist ja nicht ganz klar, wozu man ein Gesetz braucht. Ich würde intuitiv sagen, dass die Entscheidung über das Arbeiten von zu Hause bei den Leitenden in den Unternehmen verbleiben sollte. Viele Unternehmen, die aktuell eher dazu gezwungen sind, das sogenannte Homeoffice zu ermöglichen, stellen ja auch fest, dass war zunächst vielleicht etwas ungewohnt in dieser Radikalität, und natürlich auch ungewollt. Aber es funktioniert doch häufig gut, tatsächlich oft genauso gut wie die Arbeit in Präsenz. Wir werden die weiteren Entwicklungen jedenfalls mit Interesse verfolgen. Auf tagesschau.de habe ich übrigens vorhin gelesen, dass zum Beispiel die Mitarbeiter bei Twitter selbst entscheiden können, ob sie nach der Krise wieder im Büro oder weiter von zu Hause aus arbeiten wollen. Nun ja, liebe Ines, ich danke dir sehr für diese interessanten Einblicke in euer Unternehmen. Bleibt alle gesund und produktiv!
Ines Herdmann: Christoph, sehr gerne. Ich danke dir für das Gespräch und für die interessanten Fragen.