Schumpeter wollte, wie er sagte die „innere Triebfeder der Wirtschaft“ erforschen. Und diese Triebfeder war für ihn der Unternehmer. Josef Schumpeter hat sich gefragt: Was ist der Beitrag, was ist die eigentliche Leistung des Unternehmers? Er hat in ihm eine dynamische Figur gesehen, die sich die Aufgabe gibt, Inventionen und Innovationen auf Märkten zum Durchbruch zu verhelfen. Damit spricht Schumpeter dem Unternehmer natürlich einen maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung zu.
Im Faust I fragt Faust den Mephistopheles: „Wer bist du denn?“ Und Mephisto antwortet: „Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Und Faust fragt nach: „Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?“ Und Mephisto erklärt sich: „Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär’s, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, mein eigentliches Element.“
Der Schumpeter hat bestimmt auch den Gleichklang seiner Überlegungen zum Faust gesehen, denn seine Idee von Unternehmertum fußt auf der Zerstörung. Die Zerstörung bei Schumpeter will Gutes schaffen. Und deshalb ist er nach meiner Lesart wohl wie Mephisto davon überzeugt, dass alles was entsteht, wert ist, zugrunde zu gehen. Einfach, weil es die Gesellschaft weiterbringen kann und natürlich auch, weil es der natürliche Lauf der Dinge ist. Alles, was beginnt, endet irgendwann. Wenn Menschen da draußen eine Zahlungsbereitschaft für Innovationen zeigen und diese bevorzugen, benachteiligen sie zugleich das Bestehende. Sie zerstören es.
Die Herstellung eines neuen Gutes ist tatsächlich auch einer der Urtypen von Innovationen bei Schumpeter. Zum Beispiel die Ablösung der Pferdekutschen durch Autos, oder aktuell die Ablösung der herkömmlichen Autos, die gefahren werden müssen, durch selbstfahrende Autos. Und zugleich natürlich auch die Ablösung des Autofahrers durch einen Fahrautomaten.
Ein weiterer Urtyp ist die Einführung einer neuen Produktionsmethode. Etwa zunächst die Produktion in einer Manufaktur und dann die Fließbandfertigung.
Die Erschließung eines neuen Absatzmarktes gehört auch dazu. Denken Sie mal an Henry Ford: Er hat den eigenen Mitarbeitern für damalige Verhältnisse ganz schön hohe Gehälter gezahlt, damit sie sich die Autos leisten konnten, die sie selbst gebaut haben.
Dann fällt mir noch der Umbau eines Unternehmens ein, also die Neuorganisation, z.B. wenn Hierarchien abgebaut werden, etwa, um Entscheidungen zu beschleunigen. Die Eroberung neuer Bezugsquellen…
Indem Unternehmer wichtige neue Produkte und Dienstleistungen einführen und dann oft auch neue Organisationsformen schaffen, zerstören sie nach Schumpeters Vorstellung die bestehende Wirtschaftsordnung. Der Unternehmer bringt bei der Suche nach Gewinnmöglichkeiten das ökonomische Gleichgewicht durcheinander, wenn er erfolgreich ist und einer wichtigen Idee zum Durchbruch verhilft. Die Wirtschaft sieht er darum als einen dynamischen Prozess, Gleichgewichte sind nur vorübergehende Phänomene. Und Unternehmer sind Menschen, die Ideen aufgreifen, weiterbringen und ihnen zu allgemeiner Akzeptanz verhelfen. Es ist dabei zweitrangig, von wem die Idee stammt.
Der Unternehmer ist für Schumpeter also nicht so sehr ein „Erfinder“, sondern eher ein Befähiger
Wir sehen uns um und stellen fest, wichtige Innovationen kommen unregelmäßig. Aber wenn sie kommen, sind viele davon betroffen. Industrien müssen umrüsten und dafür Kredite aufnehmen, Konsumenten orientieren sich um und haben plötzlich Bedürfnisse, von denen sie manchmal gar nicht wussten, dass sie sie je haben würden. Das kann zu einem unglaublichen Konjunkturboom führen. Die meisten einer Branche werden dann mitgehen müssen, investieren müssen. Oder sie werden abgehängt.
Der Unternehmer ist für Schumpeter also nicht so sehr ein „Erfinder“, sondern eher ein Befähiger, der eine Erfindung für viele nutzbar und nützlich machen will. Bei Schumpeter korrespondiert das unternehmerische Risiko übrigens unmittelbar mit seiner Verantwortung gegenüber Arbeitnehmern. Auch das gehört bei ihm zur Unternehmerleistung.
Schumpeter würde Mephisto also wohl in Grenzen zustimmen. Alles was entsteht, ist Wert dass es zugrunde geht. Allerdings hat Schumpeter zumindest kurzfristig einen ungleich positiveren Blick auf das Ganze als der Teufel, der schon jedes Schaffen wegen der Zerstörung sinnlos findet. Aber weil Schumpeter die „schöpferische“ oder „kreative“ Zerstörung betont, denkt er mehr im Sinne des Fortschritts, der letztlich gut für Konsumenten sein kann.
Aber Schumpeter geht sehr weit. Er meint, dass man den Konjunkturzyklus durch die Unregelmäßigkeit der wichtigen Innovationen erklären kann. Man müsste da noch genauer hinsehen, um vielleicht irgendwann diesen Gedanken in die herrschende Meinung aufzunehmen.
Der Kapitalismus schafft Gewinn- und Konsummöglichkeiten, aber keine Freundschaften
Der Wettbewerb ist also positiv, weil er als Ordnungsprinzip der Wirtschaft die Voraussetzungen schafft für die Entstehung von Neuem, z.B. bietet er die dafür notwendigen Anreize. Interessant finde ich aber, dass Schumpeter trotzdem auch ein Kritiker des Kapitalismus ist. Das kann man nachlesen in seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ (1942; Klassiker). Der Kapitalismus ist auch für ihn ein erfolgreiches Ordnungssystem der Wirtschaft, wie für die meisten von uns. Aber bei der Lektüre wird auch klar: Er erkennt, beim Kapitalismus geht es eigentlich immer um Nützlichkeitsabwägungen. Der Kapitalismus schafft Gewinn- und Konsummöglichkeiten, aber keine Freundschaften.
Er war der Auffassung, dass der Kapitalismus sich irgendwann abschaffen wird. Das begründet er auch mit Innovationen, nämlich mit dem ständigen Druck danach. Der führt zu immer mehr Wohlstand und schließlich geht das System nach seiner Vorstellung an seinem Erfolg zugrunde. Wenn z.B. die innovativen Unternehmen ihre Chancen auf Märkten realisieren und immer größer werden, werden sie zugleich träger. Schumpeter meint, dass in solchen Organisationen die Innovationen quasi zur Routine werden, dass sie von oben angeordnet oder gesteuert werden. Eigentlich widerspricht sich das ein bisschen. Nach seiner Auffassung verhindert das tendenziell auch die günstige Entwicklung kleiner Unternehmen.
Die Tragik besteht für Schumpeter wohl darin, dass auch der Markführer ein gestresster Unternehmer ist. Er ist ja ständig von dem Prinzip bedroht, dass geholfen hat, ihn selbst in seine gegenwärtige Position zu bringen: Nämlich von der Innovationskraft der anderen. Vielleicht kennen Sie noch die Olympia Schreibmaschine. Die waren Markführer. Benutzt überhaupt noch jemand Schreibmaschinen? Der russische Geheimdienst, war in den Zeitungen zu lesen, um nicht abgehört werden zu können.
Nokia war für ungefähr 13 Jahre Marktführer bei Mobiltelefonen. Dann kam das Smartphone. Ich erinnere mich daran, wie ein Unternehmer mich bei sich herumführte und eine Vitrine öffnete. „Schauen Sie mal“, hat er gesagt. „Mit dem Gerät hier war Nokia nur eine Haaresbreite vom Smartphone entfernt.“ Dann hat er noch ergänzt: „… aber eben davon entfernt!“
Einerseits ist es beeindruckend, was der Wettbewerb hervorbringen kann, aber für viele Menschen ist er darum auch beängstigend. Ich meine, wir können schon deutlich beobachten, dass die erforderlichen Reaktionsabstände auf die Veränderungsschritte der Beteiligten im Wettbewerb immer kürzer werden. Und das schiebt das Ganze noch weiter an, und führt bei den Menschen, die im wettbewerblichen System ihren Lebensunterhalt verdienen, gerne zu Beschleunigungseffekten und Stress. Die Kräfteverhältnisse können sich zügig ändern. Wenn Gleichgewichte ins Ungleichgewicht kommen heißt das auch: Im Wettbewerb kann einem schlicht und ergreifend alles passieren. Und ich meine, das gilt für alle Beteiligten, Investoren, Unternehmer, Mitarbeiter, Konsumenten.
Wandel, angetrieben durch Schöpfung und Zerstörung
Er sei „Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ sagt der Teufel dem Faust. Ist der Wettbewerb der „Geist, der stets verneint“, also das bestehende nichtig macht, vernichtet? Man muss sehen, dass Konkurrenz im Kern bedeutet, dass jemandem ein Nutzen widerfährt auf Kosten eines andern. Der Schaden des anderen ist also die Bedingung für den Nutzenzuwachs des einen. Das deutet Wandel an, angetrieben durch Schöpfung und Zerstörung.
Bei Schumpeter müssen Unternehmer der Zukunft zugewandte, in ihren Grundeinstellungen offenbar positive und fortschrittliche Menschen sein, die eine ausgeprägte Risikoneigung haben, aber zugleich ressourcenschützende und damit verantwortungsvolle Entscheidungen unter Unsicherheit treffen wollen. Sie wollen eigene Werte bewahren und schaffen, für die andere eine Zahlungsbereitschaft haben. In dem Streben danach reduzieren oder zerstören sie im Wettbewerbssystem die Vermögenswerte anderer, nämlich ihrer Konkurrenten. Die Wettbewerbslogik macht Kooperation zwischen Konkurrenten eben nur in engen Grenzen rational. Und der Unternehmer, der mit seinen Spielzügen auf Märkten den Regeln der Wettbewerbslogik folgt, ist somit auch ein kleiner Teufel.